Genderneutrale Erziehung
Unsere Gesellschaft teilt Geschlechter immer noch klischeehaft ein und verbindet mit ihnen gewisse Vorstellungen. Schon Babies werden optisch unterschieden, das Spielzeug wird geschlechterspezifisch zugeteilt und in unseren Köpfen haben wir rollentypische Vorstellungen wie sich Mädchen und Jungen verhalten und welche Interessen sie haben. Das drängt uns in gewisse Rollenbilder und schränkt uns ein. Genderneutrale Erziehung versucht sich von diesen gesellschaftlichen Stereotypen zu lösen. Sie hat das Ziel, dass Kinder ihre Talente, Interessen und Kompetenzen unabhängig vom Geschlecht und somit uneingeschränkt entwickeln können. Wir ergründen, warum das wichtig ist und wie wir eine genderneutrale Erziehung umsetzen können.
Was ist genderneutrale Erziehung
Genderneutral erziehen bedeutet Kinder ohne Rollenklischees aufwachsen zu lassen. Es hat das Ziel, ein Kind mit seiner gesamten Persönlichkeit wahrzunehmen, unabhängig von Geschlecht und frei von Schubladen, damit es seine Talente, Interessen und Kompetenzen voll entwickeln kann. Es ist ein Weg, dem Kind zu zeigen: Du bist, wer du bist, und kannst sein, wie du sein möchtest.
Warum genderneutrale Erziehung für Kinder wichtig ist
Warum ist das wichtig? Weil Kinder dadurch unabhängig vom Geschlecht, die eigenen Talente entdecken und sich entsprechend entfalten können, ohne dass ihre Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt werden und sie in bestimmte Rollen gedrängt werden. Wenn wir Rollenklischees und Geschlechtervorstellungen auf Kinder übertragen bzw. ihnen gewisse Rollen zuschreiben, verbinden wir damit gewisse Erwartungshaltungen, wie sie zu sein haben oder sich verhalten sollen. Mit diesen Erwartungshaltungen schränken wir sie in der Regel ein. Wer kennt sie nicht, die Beispiele aus dem privaten Umfeld, wo Kinder den Erwartungen ihrer Eltern entsprechen, dabei aber ihre eigenen Wünsche und Interessen ignorieren. Sie ergreifen z.B. ein Hobby oder einen Beruf, den ihre Eltern sich für sie wünschen. Doch eines Tages stellen sie fest, dass sie damit nicht glücklich sind und dies für sie der falsche Weg war.
Auch die Tatsache, dass Mädchen nur mässig an MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) interessiert sind, wird mit den gesellschaftlichen Stereotypen und Rollenbildern in Zusammenhang gebracht. Untersuchungen zeigen, dass Mädchen stärker ermutigt werden sozialwissenschaftliche und Pflegeberufe zu ergreifen, während Jungen eher bestärkt werden MINT-Berufe zu wählen. MINT-Berufe werden als wenig frauenfreundlich angesehen und viele Mädchen glauben, dass ihre Leistungen den Anforderungen dafür nicht entsprechen und trauen sich es deshalb nicht zu [1]. Schuld daran sind die Rollenbilder mit denen sie sozialisiert wurden.
So gelingt die Erziehung ohne Rollenklischees
Um unabhängig vom Geschlecht, ohne Schubladen und Vorurteile zu erziehen, sollten Eltern und Erziehende ihre Erwartungen und Vorstellungen an die Geschlechter überdenken und Vorurteile hinterfragen. Sprechen wir mit Mädchen anders als mit Jungs? Welche Adjektive benutzen wir, um Mädchen zu beschreiben, welche für Jungs? Was suggerieren wir unseren Kindern, wenn wir uns bei Mädchen über ihr Aussehen freuen und Jungs sagen wie stark sie sind? Wofür loben wir Jungs, wofür Mädchen? Warum machen wir Unterschiede?
Stereotypisierende Aussagen, Reaktionen und Erwartungen sollten vermieden werden. Mädchen sollten nicht nur für ihr Aussehen gelobt werden, sondern auch für ihre Charaktereigenschaften und ihr Verhalten. Und Jungen dürfen auch sensibel sein. Weiblichkeit bzw. weiblich besetzte Eigenschaften sind kein Zeichen von Schwäche. Aussagen wie „Du läufst wie ein Mädchen“ oder „Ein In****** kennt kein Schmerz“ sind Gift, denn sie sprechen vor allem Jungen ihre weichere, empathische Seite ab und lehren, dass sie nicht schwach oder zart sein und über Gefühle sprechen dürfen.
Weitere konkrete Beispiele und Tipps:
- Vorbild sein und Rollenumkehr praktizieren: Papa backt den Kuchen, Mama schraubt das Regal zusammen.
- Geschlechtsneutrales Spielzeug bzw. Spielsachen für beide Geschlechter anbieten. Mädchen nicht nur weiche Spielsachen und Puppen zum hegen und pflegen und Jungs nicht nur festes, technisches Spielzeug, das körperliches Selbstvertrauen stärkt und räumliches und logisches Denken fördert.
- Beim Vorlesen von stereotypischen Märchen mal die Geschlechter der Helden (Prinz und Prinzessin) vertauschen oder die Rollenklischees mit den Kindern besprechen.
- Vorurteile, die Kinder mit nach Hause bringen (z.B. Pink ist eine Mädchenfarbe), sollten wir ansprechen und im Gespräch hinterfragen.
Statt Rollenklischees die Interessen und Stärken im Blick haben
Genderneutrale Erziehung orientiert sich an den Interessen und Stärken der Kinder statt sich durch Rollenklischees leiten zu lassen. Es braucht Eltern, die helfen die Bedürfnisse und Fähigkeiten in den Vordergrund zu stellen und ihr Kind ermutigen seinen eigenen Weg zu gehen. Unseren Kindern zuliebe sollten wir uns unserer Rollenklischees bewusst machen. Unbegründete Annahmen wie Jungen seien besser in Mathematik, Mädchen können besser auf andere Menschen eingehen, haben sich in unseren Köpfen festgesetzt. Doch sie behindern uns und unsere Kinder in unserer Entwicklung. Mädchen und Jungen sollten gleichermassen gefördert werden. Darüber sind sich vermutlich alle einig. Doch das geht nur, wenn Eltern und Erziehende ein gleichberechtigtes Lernumfeld schaffen und sich frei von Geschlechterklischees den Kindern gegenüber verhalten. Nur so können Mädchen und Jungen ihre Kompetenzen, Interessen und Talente gleichermassen entwickeln. Nicht das Geschlecht, sondern die persönlichen Stärken sind für den Lernerfolg entscheidend.
Genderneutrale Erziehung in der Kita
Kitas können einen grossen Beitrag zu einer genderneutralen Erziehung leisten. Dank der Vielfalt an Kindern mit unterschiedlichsten Interessen, bieten die Einrichtungen in der Regel auch das entsprechende Spielzeug, Material und Aktivitäten für die verschiedenen Interessen. Das hat den Vorteil, das alle Kinder mit einem vielfältigen, geschlechterunabhängigen Angebot in Berührung kommen. Während beispielsweise ein Mädchen daheim eventuell wenig Spielzeugautos zum spielen hat, stehen ihr in der Kita nicht nur viele Autos, sondern gleichzeitig auch viele Spielkamerad:innen zur Verfügung. Jungs kommen in der Kita eventuell mehr mit Puppen in Berührung als das zuhause der Fall wäre.
Bei KiMi dürfen selbstverständlich alle Kinder mit allem spielen. Bei den Themenwochen (projektorientiertes Arbeiten) schlüpfen die Kinder im Rollenspiel in die verschiedenen Rollen der Helden, so dass also auch ein Rollentausch stattfindet. Jungs werden z.B. zur Prinzessin, Ärztin oder Mutter, Mädchen zu Bauarbeitern, Rittern oder Piraten. Mit entsprechenden Büchern wie z.B. „Julian ist eine Meerjungfrau“ oder „Puppen sind doch nichts für Jungen!“ wird das Thema „sich selbst sein“, Akzeptanz und Vielfalt spielerisch gefördert. Kein Kind wird aufgrund seiner Kleiderwahl, seines Aussehens und seiner Interessen bewertet. Kommentare von anderen Kindern werden im Gespräch mit den Kindern aufgegriffen und wir hören uns gegenseitig zu.
Quellen:
[1] Wie lassen sich Mädchen für MINT-Berufe begeistern? (projuventute.ch)